Alte Liebe rostet nicht
Ein Bericht von Sara & Markus Letzner - Teil 2
Erschienen in der Ausgabe März 2014
„Ob ich hier jemals wieder rauskomme? Und wenn ja, was geschieht dann mit mir???“
Wenn ein Auto Gedanken hegen könnte, wären dies ganz sicher die Fragen gewesen die sich der alte Daimler immer wieder gestellt hätte. Die folgenden Zeilen schildern die vermeintlichen Gedanken eines nie vergessenen Autos…
„Seit nunmehr 20 Jahren stehe ich hier irgendwo in einer dunklen, feuchten Garage auf der Stelle, die Füße tun mir weh und ach, mir geht’s überhaupt ziemlich schlecht.“
Der Stern ist nicht nur verblasst, er ist sogar ganz weg, überall nagt dieses braune Zeugs am Blech und an all meinen schönen Alu- und Chromverzierungen sind hässliche Pickel zu sehen.
Die Scheinwerfer sind mir schon entfernt worden, aber ich war ja eh schon fast blind, und auch die Mittelkonsole, der Tacho und das Radio sind schon ausgebaut. Egal wo man hin sieht…es ist ein grauenvolles Bild.
Was ist nur aus mir geworden?“
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Ja, die Zeiten als der Wagen noch stolz seinen glänzenden Stern auf der Haube trug und sein kräftig-rotes Blechkleid ohne Makel auf den Straßen zur Schau stellte, sind lange vorbei.
Einst hatte er sich mit fast jedem Auto auf den Straßen messen können - wurde doch extra auf das Emblem 230.6 bei der Bestellung verzichtet, das auf seinen kräftigen Motor hinwies.
Seine Artgenossen in den 70er Jahren waren zumeist nagelnde Heizölvernichter, oftmals auch als Wanderdüne verschriene Diesel, die für den kräftigen 230er eher keine wirkliche Gefahr auf den noch nicht so überfüllten und Geschwindigkeits-offenen Autobahnen darstellten.
Und nun? Nur noch ein Haufen elend. Verblasst, verrostet, vergammelt. Traurig.
Die Hoffnung jemals wieder so auszusehen wie früher hatte der alte Benz nie aufgegeben, bis er eines Tages mitbekam das es einen Neuen gab. Einen anderen Mercedes. Gut in Schuss sollte er sein, sehr gut sogar. Und auch ein 230er. Auch das noch…
In letzter Zeit wurden immer wieder Teile an Ihm abgebaut. Das Radio sollte nun angeblich in dem “Neuen“ sein. Das alles machte ihm Angst…
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„Ich versteh das alles nicht…Markus hat mich doch damals extra hier versteckt und vor dem Tod gerettet?!
Am Samstagnachmittag den 23.November 2013 öffnete sich dann das Garagentor und irgendetwas stimmte nicht an diesem Tag. So viele Leute waren noch nie zusammen bei mir gewesen.
Markus war auch gar nicht mit dem „Opa“ da. So nannte er sein Gefährt immer wenn er mich denn mal besuchte. “Golf TDI“ stand hinten auf der Klappe. Haha…Opa! Was bin ich denn dann?? Der Ur-Opa?? Nun ja, statt dem Opa stand also so ein komisches großes Ding vor der Garage. Touareg konnte ich erkennen. So ein Auto hatte ich noch nie gesehen- aber was will der hier??
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Dann ging alles irgendwie ganz schnell…ich hörte so ein Brummen…ein Reifen fühlte sich plötzlich anders an und dann gab es einen kräftigen Ruck. Wer zieht mich da am Kragen, verdammt? Das große Auto vor mir schnaufte und dann bewegte ich mich!! In dem hektischen Treiben hörte ich immer wieder was von „Räder fest“, aber nach und nach fühlten sich alle Reifen wieder an wie früher und immer wieder ruckte es. Mir tat alles weh und überall rieselte es, aber ich biss die Armaturen zusammen und konzentrierte mich auf meine Räder. Jetzt bloß Markus nicht enttäuschen! Und was soll ich sagen…alle vier Räder rollten!! Ich war stolz auf mich. Gleichzeitig schämte ich mich, denn mein neuer Kumpel vor mir war so kräftig und schick und ich steh hier, kann kaum laufen und sehe fürchterlich aus. Zum Glück ist es schon dunkel!!“
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So ließ der alte Wagen sich bereitwillig aus seinem Gefängnis befreien und spürte seit über 20 Jahren wieder Regen auf seinem Blech! Draußen war es den ganzen Tag ziemlich ungemütlich und am Nieseln.
„Ich rätselte die ganze Zeit wer der große Mann ist, dem der Touareg gehört und dann rieselte es mir wie Rost aus den Einstiegskästen- das war Karsten, der mich damals mit Markus auch hierher gebracht hatte!! Ich glaub´s ja nicht. Die Frau die dabei war hatte ich auch mal ganz kurz gesehen. Ich glaube das ist Markus seine Frau. Sie heißt Sara. Ich hoffe so sehr das sie mich mag…über Frauen und alte Autos hatte ich bislang nicht viel Gutes gehört. Aber sie war mir schon sehr sympathisch…ich glaube sie hat sich gefreut mich zu sehen!“
So wurde der rieselnde Benz auf einen modernen Anhänger verladen und rollte kurze Zeit später durch die kalte, dunkle Stadt.
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„Aber wo geht es nun hin? Zum Schrott? Bitte nicht!!!Aber warum sollte mich Markus nicht zum Schrott bringen? Er hat ja jetzt einen Anderen…
Mein kräftiger Kumpel vorne machte mir noch zusätzlich Angst- er hörte, wie sich Markus und Karsten während der Fahrt unterhielten und erzählte mir, wie Markus immer wieder sagte: “ Es hat keinen Sinn“ und „Zu kaputt“ und solche Sachen. Gruselig!
Was ist denn nur mit Markus los? Er hat mich doch immer so gemocht.
Karsten hat sich hingegen für mich eingesetzt, jawohl, sogar seine Hilfe Hat er angeboten mich wieder zu reparieren. Das beruhigte mich etwas.
Mit Angst verfolgte ich den Weg, den wir fuhren und dann kamen wir an einem Haus an mit einer neuen großen Garage dran. Puh…zum Glück nicht zum Schrottplatz.
Das Garagentor ging auf und…da stand er…also war es tatsächlich wahr. 230 stand hinten dran…und er sah gut aus! Mist! Zum Glück schläft er schon und sieht mich nicht.
Links in der Garage war eine Lücke, in der Mitte standen 2 kleine gutaussehende Engländer…hihi…hintereinander. Lustig! Ganz schön bunt der Eine .Und rechts stand mein Ebenbild: frisch, glänzend und…was ist das? Der ist ja sogar noch älter als ich!! Das kann doch alles nicht wahr sein.
Das soll also jetzt mein neues Heim werden?
Ich wurde tatsächlich in die Lücke geschoben und bekam mit, dass Markus und Sara hier in dem Haus wohnen!! Jaaaaa, ich hab´s geschafft!!!!
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Mut und Angst wechselten sich in den folgenden Tagen ab. Markus besuchte mich nun ziemlich oft, klopfte immer wieder unten an mir herum und so sehr ich mich auch anstrengte, es rieselte und bröckelte überall! Und überall zog es auf einmal…ich glaube ich habe Löcher! Oh nein…ich habe überall Löcher!!
Ich glaube, jetzt weiß ich auch, wen die immer meinen wenn von „Brösel“ die Rede ist!! Grummel…
In den folgenden Tagen unterhielt ich mich mit den kleinen Engländern neben mir und…ja… auch mal mit meinem Körperdouble. Eigentlich ist der ja ganz nett, hat mir Mut gemacht und so…auch wenn ich echt neidisch bin das der ohne Schönheits-OP noch sooo gut aussieht. Aber er hat Zellulite im Blech …hähähä…wenigstens etwas!! Angeblich sind da mal so Eisbälle vom Himmel gefallen. Ich weiß ja nicht…hab ich noch nie gesehen. Immerhin will er mir mein Radio wiedergeben, wenn ich es wiederhaben will. Aber jetzt nicht, ich kann es eh noch nicht gebrauchen.
Der kleine bunte Mini nebenan erzählte mir, das hier so eine Art Auto-Klinik sein muss. Er hat sich wohl mal ähnlich schlecht gefühlt und wurde dann für 10 Monate ins Koma gelegt! Und nun ist alles wie neu! Unglaublich. Der kleine schwarze Kollege bestätigt das. Ob ich auch operiert werde?? Der Doktor heißt wohl „großer Erich“. Ich hab den hier aber noch nie gesehen.
Der soll sich angeblich gerade nebenan um den Opa kümmern. Ach ja, der Opa…der ist ja auch da! Wenn dort das Licht an ist, seh ich zwar den Opa allerdings ist immer nur Markus dabei. Seltsam.
Vor 2 Wochen dann eine kleine Sensation…Ein Blitz fuhr durch meine alten Leitungen und meine Scheibenwischer liefen plötzlich. Und meine Lampen und die Hupe funktionierten wieder. Jaaaaa!!! Nur mit sprechen ist es noch nicht so doll…aber ich habe wenigstens mal ganz kurz geräuspert und hab was von „erst muss neues Öl rein“ gehört.
Ob ich jetzt doch wieder fit gemacht werde? Ich hoffe so sehr das ich die letzten 20 Jahre nicht vergeblich gewartet habe…
Vor kurzem kam dann auf einmal mein erster Besitzer herein! Der war ja früher nicht immer so gut zu mir, klopfte mir aber jetzt auf den Kotflügel und meinte mit seltsamer Stimme: „Na, mein Alter…“! Ich glaube er hat sich auch gefreut mich wieder zu sehen!! Das weiß man bei dem aber nie so genau.
Ein bisschen Mut habe ich, denn zu Weihnachten ging auf einmal das Tor auf und Markus kam mit etwas herein, was früher immer mein ganzer Stolz war…EIN NEUER STERN!! Den hat die Frau für mich besorgt und ich glaube ich habe ihr Unrecht getan. Sie mag mich sehr…und ich glaube sie spricht nochmal mit Markus ob ich nicht doch bleiben darf. Tragen durfte ich den Stern aber noch nicht, schade, aber er hat ihn mir mal angehalten. Das kann doch nur was Gutes bedeuten oder???“
Ob der alte Mercedes seinen Stern jemals wieder tragen kann steht noch „in den Sternen“. Aber, die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht auch für ein Auto aus Blech und Schrauben, wer weiß?
Jetzt ist er erstmal zuhause.
ENDLICH.
Text: Markus
Bilder: Sara